| Lernort Bauernhof

Fachtagung: LOB-Bilanz und Debatte über "Tierethik"

54 Betriebsleiter*innen und 17 Unterstützer*innen trafen sich zur jährlichen Fachtagung, die nach zwei pandemiebedingten Online-Veranstaltungen endlich wieder „in Präsenzform“ stattfinden konnte. Passend zum Schwerpunktthema „Tierethik“ wurde als Veranstaltungsort die Lehr- und Versuchsanstalt für Viehhaltung, Hofgut Neumühle, ausgewählt.
LOB-Betriebsleitungen verfolgen den Tierethikvortrag des Philosophen Armin Müller

Die Maßnahme Lernort Bauernhof (LOB) wird im Rahmen des rheinland-pfälzischen Entwicklungsprogramms „Umweltmaßnahmen, Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft, Ernährung“ (EULLE) vom Land und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Ländlichen Raumes (ELER) finanziert. Seit März 2018 bis Ende September 2025 ist die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz (LWK) mit der Umsetzung des LOB beauftragt. Das Angebot LOB umfasst u. a. die Durchführung der Lernangebote jenseits des Klassenzimmers auf dem außerschulischen „Lernort Bauernhof“ sowie Weiterbildungen für Lehrkräfte, Leiterinnen und Leiter landwirtschaftlicher Betriebe.

Dr. Christian Koch begrüßte als Einrichtungsleiter des Hofguts Neumühle alle Teilnehmenden und freute sich, dass seine Institution als Austragungsort dieser Fachtagung ausgewählt wurde. Kammerpräsident und Ökonomierat Norbert Schindler wies auf die langjährige, gute Zusammenarbeit mit der Neumühle hin, bedankte sich bei dem Wirtschaftsministerium für die weitere Beauftragung zur Durchführung der LOB-Maßnahme und hob die besondere Rolle der Landwirtschaftlichen Betriebe bei der außerschulischen Bildung hervor.

Förderung über 2025 hinaus

Agnes Pohlmann (MWVLW) stellte in Aussicht, dass die Maßnahme auch über 2025 hinaus gefördert werden würde. Sie verabschiedete das langjährige Mitglied des Steuerungsgremiums und „Mannes der ersten Stunde“ des LOB in Rheinland-Pfalz, Michael Staaden (MKUEM) und betonte sein langjähriges, unermüdliches Engagement für die Einführung und Umsetzung des LOB in Rheinland-Pfalz. Insbesondere die Themen „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), die Qualitätsentwicklung und Internationale Beziehungen, z. B. zur BNE in der Großregion, seien Staadens besondere Verdienste für LOB in Rheinland-Pfalz. Sie bedankte sich für die „unaufgeregte“ und zuverlässige Mitarbeit in dem LOB-Steuerungsgremium RLP, das sich aus Vertreter*innen der beteiligten Ministerien, der BAGLOB e. V., des Pädagogischen Landesinstituts, der Bildungspartner sowie der landwirtschaftlichen Berufsverbände zusammensetzt. Seine Nachfolge im Steuerungsgremium tritt Clarisse Furkel-Ortmann (MKUEM) an.

Zu Beginn gab LOB-Projektkoordinatorin Maria Caesar einen Überblick über die im abgelaufenen Jahr durchgeführten Unterrichtseinheiten sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen: Ab 10. März 2022 wurden bis Ende des Jahres 372 Unterrichtseinheiten auf den LOB-Betrieben mit 6.687 Schüler*innen durchgeführt. Derzeit ist hier nach der Pandemie ein starker Aufwärtstrend zu verzeichnen. Am häufigsten wurde das Angebot von Förderschulen und Grundschulklassen in Anspruch genommen.

In diesem Zeitraum fanden eine Grundschulung mit 9 Teilnehmenden, ein Zertifikatslehrgang zur Bauernhofpädagogik mit 14 Absolvent*innen sowie eine Weiterbildung zum Klimaschutz mit 12 Teilnehmenden für die LOB-Landwirt*innen und Winzer*innen statt. 16 Lehrkräfte nahmen an 2 Fortbildungsangeboten auf verschiedenen LOB-Betrieben teil.

Eine öffentlichkeitswirksame Netzwerkveranstaltung mit 80 Teilnehmenden (Lehrkräfte, LOB-Betriebsleitungen und Netzwerkpartner*innen) auf dem LOB-Betrieb Gill’s Weidenhof Ende September 2022 erhielt große Resonanz.

Derzeit seien rund 60 Betriebe aus allen Teilen des Landes und aus den unterschiedlichen Produktionsrichtungen als „Lernorte Bauernhof“ anerkannt. Die zwei „frischgebackenen“ LOB-Betriebsleiterinnen Theresa Pfeifer vom Kastanienhof, Mainz, und Annemarie Blickensdörfer von der „Solidarischen Landwirtschaft Vorderpfalz“, Schifferstadt, erhielten jeweils stellvertretend für ihren LOB-Betrieb im Rahmen der Fachtagung offiziell das LOB-Hofschild durch Kammerpräsident und Ökonomierat Norbert Schindler und Agnes Pohlmann als Vertreterin des Wirtschaftsministeriums überreicht.

Ute Schmazinski vom Ministerium Bildung RLP stellte die neue Verbraucherrichtlinie an allgemeinbildenden Schulen in RLP (https://verbraucherbildung.bildung-rp.de/) vor, die  wesentliche Schnittstellen zum außerschulischen Unterrichtsangebot Lernort Bauernhof aufweist. Sie nannte im Wesentlichen die Kernbereiche „Ernährung und Gesundheit“ sowie „Nachhaltiger Konsum und Globalisierung“, die im Rahmen der jeweiligen schulischen Konzepte für Verbrauchbildung praktische Angebote zur Gestaltungskompetenz für Schülerinnen und Schüler bieten können.

Lehrkräfte mit LOB-Bildung

Mit Freude konnte Ute Schmazinski den LOB-Betriebsleitungen ein neues Modul zur Implementierung von LOB in die Ausbildung von Lehrkräften an der Universität Koblenz vorstellen. Dieses wird ab Sommersemester 2023 im Fachgebiet Ernährungs- und Verbraucherbildung (EVB) für Masterstudierende des Lehramts an Realschulen+ stattfinden. „Es wird eine Kombination aus Theorie und Praxis zu den Lerneinheiten LOB; Landtechnik/Getreide, Klimaschutz und Landwirtschaft, Gemüse/Kartoffeln/Zuckerrüben, Milchwirtschaft, Weinbau und Kellerwirtschaft, Tierhaltung und Futtermittel mit fünf ergänzenden Exkursionen zu landwirtschaftlichen Betrieben angeboten“, erläuterte sie. „Die hierbei ausgearbeiteten Unterrichtskonzepte werden den interessierten Lehrkräften im Anschluss zur Verfügung gestellt.“ Schmazinski stellte in Aussicht, dass das Konzept, nach Evaluation des „LOB-Moduls“, auch auf weitere Lehrämter übertragen werden könnte. Dieses Angebot wurde von den anwesenden LOB-Akteur*innen sehr begrüßt.

Das Schwerpunktthema des Tages, die „Tierethik“, wurde mit einem Impulsvortrag des Philosophen Armin Müller eröffnet. Er spannte den Bogen von der Tierethik zur Ernährungsethik. Zu Beginn einige grundlegende Definitionen: Der Begriff Ethik werde heute in vielen Kontexten verwendet, z. B. der „Ethikrat“ oder „Ethik“ als Schulfach. Wenn es um Ethik geht, sei immer moralisches Handeln als Basis im Spiel. Ethik und Moral meinten dasselbe. Müller bezeichnete Ethik als eine Disziplin der Philosophie, wobei es immer um grundlegende Fragen des Lebens gehe, die entscheidende Frage laute: „Ist die Handlung falsch oder ist sie richtig?“

Diesen Fragen könne sich nur mit dem wichtigen Werkzeug der Argumentation angenähert werden. Dies bedeute Überprüfen der Überzeugungen oder Aussage und Begründen der Schlussfolgerung daraus.

Hierbei seien drei Handlungsfelder hilfreich: die moralische Intuition (wir fühlen und sind moralisch verpflichtet, ein ertrinkendes Kind zu retten), die moralischen Gebräuche einer Gemeinschaft (so wie sie sind, nicht wie sie sein sollen) und die Moral-Theorien, auch „normative Ethik“ genannt. Letztere wiederum werde in drei ethische Theorien unterteilt:

- die Tugendethik, mit den Tugenden als leitendem Prinzip - klassische Tugenden wie z. B. Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maßhalten, Klugheit. Hinzu kommen intellektuelle Neugier und Dankbarkeit. Tugenden würden sich beispielsweise in Charakterzügen zeigen. Sie seien „tief eingeschrieben“, durch Gewohnheiten geprägte menschliche Eigenschaften.

- der Utilitarismus, hierbei solle alles Handeln zum Glück führen, „Happiness“ bei allen Beteiligten. Jede menschliche Handlung solle den größtmöglichen Nutzen haben für alle.

- die Pflichtethik, das Tun solle auf der Basis der Vernunft geschehen, der gute Wille und die gute Absicht würden unterstellt. Der Mensch mache sich frei von Begierden, was ein Teil der Würde des Menschen ausmache.

Im nächsten Schritt müsse geklärt werden, wer bei diesen Theorien im gesamten Kosmos berücksichtigt werden solle. Wer bzw. was bei einer Handlung moralisch relevant sei:

-          nur der Mensch (anthropozentrisch),

-          alle leidensfähigen Lebewesen (pathozentrisch),

-          alle Lebewesen inkl. Pflanzenwelt (biozentrisch),

-          das ganze Ökosystem (ökozentrisch) oder

-          die Erde komplett (holistisch).

Hier sei man bereits mitten in der Wertedebatte. Der Mensch habe einen „Eigenwert“, sei nie Mittel zum Zweck, dürfe nie Werkzeug sein! Wie steht es mit den Tieren? Haben sie einen vergleichbaren Eigenwert oder sind sie Instrumente, mit wirtschaftlichem Wert? So beginne die Werteabwägung und Argumentation sowie die Kernfrage im Spannungsfeld Tierethik-Ernährungsethik: Welche moralische Pflicht haben Menschen den Tieren gegenüber?

Ernährungsethik noch nicht etabliert

Die Ernährungsethik sei derzeit noch wenig etabliert. Fest stehe: Der Akt des Essens habe ein ethisches Moment. Essen sei ein Einverleibungsprozess. Die Nahrung werde Teil von uns selbst. Weiter gedacht, seien die Sorgen um unsere Ernährung begründet durch die Sorge um uns selbst. Essen sei Ausdruck unserer moralischen Haltung.

Neben moralischen Werten gebe es auch noch andere, z.B. ökonomische, und hierdurch sei die Wertekollision vorprogrammiert. Abwägen sei gefragt.

Der komplette Vortrag von Armin Müller ist auf der LOB-Homepage nachzulesen unter www.lernort-bauernhof-rlp.de/de/infos-fuer-betriebe/ unter „Hier finden Sie Anregungen zur Gestaltung Ihrer pädagogischen Angebote…“.

Nach der Mittagspause stellte die Tierärztin Dr. Theresa Scheu von der Neumühle die tierärztliche Sicht auf das Thema Tierethik vor. Sie erklärte die Leitfragen für die anschließenden Workshops. In den vier Workshops wurde für vier verschiedene Tierarten die tierethische Debatte geübt. Die wesentlichen Leitfragen lauteten:

- Wer sind die Akteure (Akteursgemeinschaft), die Beteiligten in der Fragestellung (Kuh, Kalb, Landwirt*innen, Tierärzt*innen, Verbraucher, Vegetarier*innen, Tierschützer*innen)?

- Wie ist die persönliche moralische Intuition für die jeweilige Handlung, die Überzeugung (Was halte ich für moralisch richtig?) und woher kommt diese?

- Welche moralischen Regeln der Akteur*innengemeinschaft sind aufzustellen, mit unterschiedlichen Sichtweisen, aber mit definierten Grundsätzen, im Hinblick auf die moralischen Relevanzen?

- Welche Verantwortung haben wir füreinander und für das Tier?

Die Workshop-Angebote:

1. Gruppe Rind, Moderation: Gregor Hamann, Hofgut Neumühle

2. Gruppe Schwein, Moderation: Gundula Jahn (BAGLoB e. V.), Essingen

3. Gruppe Huhn/Geflügel, Moderation: Dr. med. vet. Ute Stauffer-Bescher, Bolanden

4. Gruppe Schaf/Ziege, Moderation: Marco Berweiler, LWK Trier

In den Workshops kamen die Teilnehmenden zum Ergebnis, dass es sehr spannend und wichtig sei, das eigene Handeln mit den verschiedenen Fragestellungen (z.B. das Halten von Bruderhähnen, das Enthornen von Kälbern oder der Vorgang des Schlachtens) zu durchleuchten, aber auch die Argumente der anderen beteiligten Akteure kennenzulernen. Dass es wichtig sei, das eigene Handeln und den Standpunkt erklären und begründen zu können und dass es unvermeidbar sei, Fragen offen zu lassen oder Dilemmata anzuerkennen. In der Landwirtschaft und auf einem LOB erst recht müssten täglich Werte gegeneinander abgewogen werden, da mit und in der Natur gearbeitet werde.

Ein wichtiges Ziel der jährlich stattfindenden Fachtagung ist der fachliche und persönliche Austausch der LOB-Betriebsleitungen und LOB-Verantwortlichen. Hierfür wurden die Workshops, aber auch die Pausen intensiv genutzt.

Am Nachmittag folgte ein Einblick in das für die Landwirtschaft ebenfalls sehr komplexe Thema „Klimaschutz und -anpassung“. Philipp Holz, Berater der LWK Rheinland-Pfalz sowie Projektmitarbeiter des Projekts „KLIMA FARM BILANZ“(www.klima-farm-bilanz.de) erläuterte zunächst die Begriffe Klimaschutz als Maßnahmen, die Folgen des Klimawandels (präventiv) für die Nachkommen abzumildern und Klimaanpassung als Maßnahmen des Umgangs mit den Klimafolgen. In dem Projekt können Landwirt*innen u. a. kostenlos ihren CO2-Fußabdruck ermitteln lassen. Der LOB-Betrieb Müller aus Irmtraut hatte dieses Angebot bereits wahrgenommen. Die zur Verfügung gestellten Zahlen erleichtern Laura Duchscherer als Bauernhofpädagogin dieses LOB-Betriebs, sich in das komplexe Thema einzuarbeiten. Sie plane, „Fragen rund um Landwirtschaft und Klima“ zukünftig in ihre LOB-Unterrichtsangebote für die Schulklassen auf ihrem elterlichen Betrieb aufzunehmen.

Den Tagesabschluss bildete der Hinweis auf Termine sowie die Vorstellung des Vereins „Die LeckerEntdeckere.V.“ (www.leckerentdecker.de) durch dessen Stellvertretende Vorsitzende Andrea Schneider vom Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd e.V.; neue Mitglieder – auch LOB-Betriebe - seien sehr willkommen.

 

Hintergrundinformationen

Mit „Lernort Bauernhof“ schafft das Land Rheinland-Pfalz ein außerschulisches Lernangebot auf Bauern- und Winzerhöfen für Schülerinnen und Schüler aller Klassen- und Schulstufen an allgemeinbildenden Schulen im ganzen Land. Die Maßnahme wird im Rahmen des rheinland-pfälzischen Entwicklungsprogramms „Umweltmaßnahmen, Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft, Ernährung“ (EULLE) vom Land, vertreten durch das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Ländlichen Raumes (ELER) finanziert. Die Landwirtschaftskammer RLP wurde mit der Umsetzung beauftragt und organisiert die Schulungen für Betriebsleiter*innen, bietet Fortbildungen für Lehrkräfte an und ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Informationen für Lehrkräfte, Betriebe und Interessierte finden sich im Internet unter www.lernort-bauernhof-rlp.de.

 

Sonja Ziebarth und Maria Caesar (LWK)

 

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