„Wieso protestieren die Landwirte? Sie haben doch überdurchschnittlich hohe Gewinne erzielt!“ Diese These taucht so oder so ähnlich in der derzeitigen Berichterstattung rund um die sogenannten „Bauernproteste“ auf. Die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz erfasst im Rahmen der Testbuchführung jährlich rund 900 betriebswirtschaftliche Abschlüsse und wertet sie aus. Das bildet eine ideale Grundlage, um die oben genannte These von der wirtschaftlichen Stärke landwirtschaftlicher Betriebe zu überprüfen – und einen sehr belastbaren Blick in die Zukunft zu werfen.
1. Allgemeine betriebswirtschaftliche Situation landwirtschaftlicher Betriebe
Der Gewinn ist das Ergebnis der Gegenüberstellung von Ertrag und Aufwand für ein Wirtschaftsjahr. Ein Betrieb sollte einen Gewinn in einem Wirtschaftsjahr erzielen, der so hoch ist, dass er folgende Anforderungen erfüllt:
- alle Tilgungsanforderungen, sofern sie die Abschreibungsbeträge übersteigen, ohne die Liquidität und damit die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Unternehmens gefährden, leisten zu können,
- die Lebenshaltungskosten, private Versicherungen und Steuern sowie Altenteilszahlungen zu decken,
- Eigenkapitalbildung für reale Vermögenserhaltung und Finanzierung notwendiger Nettoinvestitionen, um Wachstum des Unternehmens zu gewährleisten und Rücklagen für Erbfindungen, Altersversorgung und Risikoabsicherung zu bilden.
Reicht der Gewinn in Haupterwerbsbetrieben nicht annähernd zur Deckung dieser einzelnen Ansprüche aus, besteht bereits eine Existenzgefährdung. Darüber hinaus ist eine Eigenkapitalbildung dringend notwendig. Die Eigenkapitalbildung sollte als Faustzahl mindestens 30 % des bereinigten Gewinns oder 5 % des Fremdkapitals und bei Familienbetrieben mindestens 15.000 Euro erreichen, um die dauerhafte Stabilität eines Betriebes zu gewährleisten. Sie wird benötigt für Netto- und Wachstumsinvestitionen, Risikoabsicherung und Altersvorsorge.
Die Wiederbeschaffung einer Maschine ist aufgrund von Preissteigerungen und technischem Fortschritt nicht alleine aus der Abschreibung des ursprünglichen Anschaffungswertes möglich. Folglich muss eine Kapitalbildung erfolgen, um eine Wiederbeschaffung einer vergleichbaren Maschine zu gewährleisten.
Die Tilgungen betrieblicher Darlehen müssen ebenfalls finanziert werden. Nicht immer sind Abschreibungsdauer und Tilgungsdauer gleich zu halten. Vielfach sind Maschinen über 10 Jahre in der Abschreibung, eine Fremdfinanzierung ist aber häufig nur über 3 bis 8 Jahre möglich. Da die Wiederbeschaffungswerte in der Regel höher als die Anschaffungswerte ausfallen, sind zumindest Teilbeträge der Tilgungen folglich aus dem Gewinn zu finanzieren. Damit dies möglich ist, gehen Betriebswirte von einer Größenordnung von 100.000 € Gewinn pro Jahr aus, die ein landwirtschaftlicher Haupterwerbsbetrieb benötigt, um diese Forderungen nachhaltig zu erfüllen. Dieses Ergebnis wurde im Mittel in den vergangenen fünf Jahren deutlich verfehlt. 2022/23 war ein Ausnahmejahr an den Terminmärkten: Die Landwirtschaft ist Preisnehmer und konnte endlich etwas Liquidität schöpfen.
Die Fähigkeit, den Kapitaldienst für das aufgenommene und eventuell neu aufzunehmende Fremdkapital zu tragen, wird durch die sogenannte Kapitaldienstgrenze bestimmt. Sie zeigt, ob der Betrieb richtig finanziert oder liquide genug ist, Zins und Tilgung im vollen Umfang zu zahlen. Je mehr Eigenmittel vorhanden sind (Höhe der Eigenkapitalveränderung), desto größer ist der finanzielle Spielraum beim Einsatz von Fremdkapital. Die Kapitaldienstgrenzen sollten positiv und deutlich unter 100% ausgelastet sein, so dass z.B. im Falle einer Investition mittels Fremdkapitals ein ausreichender finanzieller Spielraum für den zusätzlichen Kapitaldienst bleibt. Nur in Ausnahmefällen nach großen Investitionen, die zu einer nachhaltigen mittelfristigen Steigerung des Betriebsergebnisses führen, ist eine kurzfristige Auslastung der langfristigen Kapitaldienstgrenze über 100% wirtschaftlich tragfähig. Beide Kennwerte, Kapitaldienstgrenze und deren Ausschöpfung, erlauben sowohl eine Aussage zur Liquidität als auch zur Stabilität des Betriebes.
2. Die betriebswirtschaftliche Prognose
Zu den Aufgaben der Testbuchführung gehört auch stets die Prognose für das kommende Wirtschaftsjahr – und die zeigt deutlich, dass die eingangs erwähnte These wirtschaftlicher Stabilität nicht zu halten sein wird.
Für fast alle Betriebsformen wird ein dramatischer Rückgang der Ergebnisse erwartet. Am deutlichsten betroffen sind die Ackerbau-Getreide-Betriebe. Der Rückgang der Erlöse, eine unterdurchschnittliche Ernte, fehlende Qualitäten und Kostensteigerungen in vielen Bereichen lassen ein Ergebnis erwarten, das deutlich unter dem des Vorjahres und sogar weit unter dem Fünf-Jahres-Mittel liegt. Das Rechenmodell lässt einen Gewinn um 20.000 € erwarten, eine Größenordnung, die für Haupterwerbsbetriebe absolut existenzgefährdend ist. Bei den Milchviehbetrieben ist der Rückgang im Rechenmodell mit minus 53 % ebenfalls dramatisch, auch wenn das verbleibende Niveau der Ergebnisse mit rund 80.000 € deutlich besser liegt. Allerdings haben die Milchviehbetriebe aufgrund der noch höheren Kapitalbindung und Fremdkapitalbelastung eine ebenfalls höchst unbefriedigende Liquiditätslage.
Diese wird durch Nachzahlungen und Vorauszahlungen auf die guten Vorjahresergebnisse bei der Einkommenssteuer nochmals verschärft. Im Ackerbau werden die Ergebnisse der Getreidebetriebe durch die Hackfruchtbetriebe abgefedert. Für diese erwarten die Beraterinnen und Berater der Landwirtschaftskammer zwar ebenfalls einen Rückgang im Ergebnis, mit minus 22 % aber weit weniger gravierend als bei den Getreide-Spezialisten. Bei den Verbundbetrieben stabilisieren die Verbundbetriebe des Pflanzenbaues das Ergebnis etwas. Diese Betriebe haben einen erheblichen Anteil an Rebflächen. Dennoch ist auch der Weinbau mit 26 % Minus von deutlich rückläufigen Ergebnissen betroffen. Eine Stabilisierung der Ergebnisse ist lediglich bei den Veredlungsbetrieben in Aussicht.
Der hohe Preiseinstieg in das Wirtschaftsjahr, deutlich gesunkene Futtermittel-Preise und eine Stabilisierung der Preise bei aktuell 2,10 €/kg bzw. 80 €/Ferkel lassen ein Ergebnis erwarten, dass im Rechenmodell rund 5 % über dem des Vorjahres liegt.
Vorschätzung Weinbau 2023/2024
Die Prognose der Wirtschaftsergebnisse für den Weinbau geht im zweiten Jahr in Folge von rückläufigen Ergebnissen aus. Mit minus 26 % wird ein weiterer, gravierender Rückgang der Ergebnisse erwartet. Ursache ist die Kaufzurückhaltung beim Flaschenwein einerseits, gravierende Kostensteigerungen andererseits. Nach Ende der Corona bedingten Einschränkungen gab es 2023 wieder Zuwächse beim Absatz an die Gastronomie, dafür reduzierten die Verbraucher bei gestiegener Inflation ihren Einkauf vorrangig im LEH, dem mengenmäßig wichtigsten Vertriebsweg. Beobachtet wird eine gestiegene Preissensibilität. Diese betrifft den Direktabsatz und den Fachhandel weniger als Großhandel und LEH, ist aber auch dort spürbar. Kostensteigerungen werden beim Kellereibedarf, beim Personalaufwand und beim Pflanzenschutz erwartet. Gegenüber dem Vorjahr waren aufgrund der Witterung intensivere Maßnahmen notwendig. Insgesamt verstärken sich die negativen Einflüsse, die schon 22/23 die Ergebnisse gedrückt haben.
Nils Töpperwien, Referatsleiter Betriebswirtschaft, Markt, Testbuchführung und Förderberatung
Hans Werner Brohl, Referat Betriebswirtschaft, Markt, Testbuchführung und Förderberatung